Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim

Zum tödlich verlaufenden Polizeieinsatz im Mannheim (Hintergrund) erklärt der Gründer und
Sprecher von BetterPolice, Oliver von Dobrowolski:

Der Umgang mit psychisch auffälligen Personen nimmt zunehmend Raum in der Aus- und Fortbildung der Polizei ein, meines Erachtens jedoch noch nicht in zureichendem Maße.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass jährlich weltweit, aber leider auch in Deutschland, viele Tote bei Polizeieinsätzen zu vermeiden wären, wenn geschultes Fachpersonal beigezogen würde, vor allem im Umgang mit Menschen, die psychisch erkrankt sind oder bei denen akute Krankheitsbilder zu einer Eintrübung führen. Bei diesen Menschen ist oft davon auszugehen, dass sie nicht „normal“, also berechenbar auf Ansprache und insbesondere körperliche Kontakte von fremden Menschen reagieren. Dies wird von Polizist:innen meist fehlgedeutet, wodurch es zu einer erhöhten Gewaltanwendung kommt, um die betreffende Person, die sich in der Regel stark wehrt, zu fixieren und zu „sichern“. Die Dynamik solcher Aktionen bedingt dann häufig schlimme Folgen wie einen kollabierten Kreislauf oder den sog. lagebedingten Erstickungstod.
Meine seit langem vorgetragene Forderung lautet daher, Polizeimitarbeitende in Aus- und ständiger Fortbildung besser auf den Umgang mit psychisch auffälligen/kranken Menschen vorzubereiten, sie außerdem besser in eine helfende Lage zu versetzen (erweiterte Erste Hilfe/Ersthelferausbildung) und vor allem, dass staatlich veränderte Infrastrukturen geschaffen werden, um in solchen Einsatzlagen – soweit erkennbar (dürfte in Mannheim so gewesen sein) – nicht in erster Linie Polizist:innen mit Pfefferspray, Schlagstock oder Waffe zu den Menschen zu schicken, sondern eine mobile Notambulanz, die sich fachlich besser um solche Personen kümmern kann. Dazu bedarf es natürlich eines gewissen Dauerdienstes (24/7) und einer entsprechenden Beschickung, also dass Notfallleitstellen bei eingehenden Alarmen nicht (nur) Polizei und Feuerwehr entsenden, sondern eben diese Fachleute.
Ganz konkret zu dem Vorfall in Mannheim kann man nur spekulieren, da die öffentlich vorhandene Videoaufzeichnung freilich nur einen Ausschnitt der Sachlage wiedergibt.
Für die beteiligten Polizist:innen war die Angelegenheit gewiss ebenfalls nicht geplant und gewollt. Soll heißen: möglicherweise gab es ein Fehlverhalten bei der Lageeinschätzung und der Behandlung der Person. Ob dies aber auch fahrlässig und somit vorwerfbar ist, lässt sich per Ferndiagnose kaum einschätzen. Hier kann man nur auf objektive, ergebnisoffene Ermittlungen von Dienstaufsicht und Staatsanwaltschaft hoffen.

Verselbständigt sich die Polizei immer weiter?

Nachfolgend ein Thread auf Twitter vom Nutzer DeLacroix:

Demokratisch gewählte Regierungen beschließen Regeln. Doch Polizeien weigern sich oft, sie durchzusetzen. Das bereitet mir GROßE Sorge. Insbesondere, wenn die Polizei verbotenen Versammlungen den Weg freiknüppelt, erinnert das an die letzten Zwanziger.

Meine Sorge sind dabei nicht regelmäßige Straßenschlachten mit Toten, bevor das falsch verstanden wird. Dafür sind die Querpfosten zu wenige. Es ist der tiefgreifende Vertrauensverlust in das System. Was bisher nur Opfer von Polizeigewalt kannten, ahnen jetzt breite Kreise:

In Gesetzesbüchern mag viel stehen, wenn der Tag lang ist. Doch wenn die Gewalt nicht geltendes Recht durchsetzt, sondern sich nach Bedarf ihr eigenes macht, höhlt das Demokratie und Rechtsstaat aus. Folgen: Menschen vertrauen nicht mehr darauf, dass der Staat sie schützt.

Mögliche Folgen: Sie gehen evtl. nicht mehr wählen, um Änderung zu erreichen. Sie zeigen Straftaten nicht mehr an, sondern „regeln das selbst“. Sie nehmen Polizei und Behörden nicht mehr ernst. Was uns zurück zur Polizei führt. Die sich selbst ins Bein schießt.

Polizeiarbeit, wie wir sie kennen, erfordert Rückhalt in der Bevölkerung. Das kann man leicht vergessen, wenn man – wie in D – in nahezu rechtsfreiem Raum agiert. Wenn unangemessene Polizeigewalt fast nie zu Urteilen führt. Wenn die Polizei sich von der Exekutive zur Legislative macht und selbst entscheidet, welche Gesetze und Verordnungen sie durchsetzt und welche nicht. Wenn sie das Framing von Rechtsextremen übernimmt und bei Horden von pöbelnden Radikalen selbst von „Spaziergängen“ spricht. Das muss sich ändern. Und zwar SCHNELL.

Es ist an den Führungen vor allem der Landespolizeien, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Alles andere mag in der konkreten Verbotene-Demo-Situation bequem sein. Langfristig macht es alles, bis hin zur Verkehrskontrolle, schwerer.

Ich bin überzeugt, die überwältigende Mehrheit aller Polizist*innen sieht sich ebenfalls als „Staatsbürger in Uniform“. Doch wenn „die Polizei“ von der Mehrheit der Gesellschaft als fremde, beliebig einsetzbare Gewalt wahrgenommen wird, hilft das leider nicht mehr.

Wir kennen das aus anderen Staaten. Und wer weiter als bis zum Tellerrand denkt, kann das nicht wollen. Weder Bürgerschaft noch Polizei noch Politik. Wer kann es ändern? Polizeiführungen. Oder Regierungen. Also: Werdet endlich Eurer Verantwortung gerecht!

Direktlink

BetterPolice wird offiziell Vereinigung

Nach der Gründung der Initiative durch Oliver von Dobrowolski im April 2021 wurde nun – aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen – mit Verzögerung auch weitere Weichenstellung vorgenommen: rechtlich wird BetterPolice nun die Form einer Vereinigung erhalten.

Der erste Schritt, eine entsprechende Gründungsversammlung, bei der auch eine Satzung verabschiedet wurde, ist getan.

Am 27. Oktober 2021 wurde in Berlin-Dahlem in diesem Zusammenhang auch der Vorstand gewählt:

Als Sprecher (Vorsitzende) fungieren:

  • Simon Neumeyer
  • Melih Tastekin
  • Oliver von Dobrowolski

Als Beisitzende werden im erweiterten Vorstand wirken:

  • Anne Wundrak
  • Jonas Zinnäcker
  • Carsten Schulz

Nach erfolgter Eintragung ins Vereinsregister werden wir hier auch die Satzung veröffentlichen.

Gruppenbild Gründungsversammlung BetterPolice

Gastbeitrag: Kein Schnack mit Cops – über White Privilege

Vor ein paar Tagen machte ein Aufruf von Ende Gelände die Runde. Es wurde darum gebeten, am Rande von Aktionen/Versammlungen keinen Smalltalk mit Polizist*innen zu halten. Es ging dabei um mehr als die übliche Mahnung zur Vorsicht, denn dieser Aufruf richtet sich primär an nicht rassifizierte Aktivist*innen und plädiert an ihre Rücksichtnahme ggü. Aktivist*innen, die dieses „Privileg“ nicht haben.

Ich kann den Hintergrund des Aufrufs zwar gut nachvollziehen, finde ihn aber dennoch etwas schwierig, nicht nur weil ich zu den Leuten gehöre, die genau das regelmäßig machen (und damit  insgesamt gute Erfahrungen bzgl. der deeskalierenden Wirkung gemacht habe), sondern auch weil ich befürchte, dass ein solcher Aufruf vonseiten der Polizist*innen falsch verstanden wird.

Ich habe ihn also mit zwei (reflektierten, weißen, männlichen) Cops diskutiert. Bzw. es versucht, denn besonders weit kamen wir nicht. Beide taten sich sehr schwer damit, die Motivation hinter diesem Aufruf nachzuvollziehen, sahen das als pauschale Misstrauensbekundung allen Polizist*innen gegenüber und primär die eskalierende Wirkung des sich gegenseitigen, misstrauischen Anschweigens. Auch das kann ich nachvollziehen. Allerdings haben hier drei weiß-deutsch gelesene Menschen diskutiert.

Ich bin mir meiner Privilegien durchaus bewusst. Ich habe zwar persönlich Erfahrungen mit rechtswidriger Polizeigewalt gemacht und bringe insofern ein gewisses „Grundmisstrauen“ mit, aber ich kann dennoch jederzeit in eine Polizeistation gehen, wenn ich ein entsprechendes Anliegen habe, oder die Polizei rufen. Denn ich bin weiß, weiblich und habe einen „deutsch“ klingenden Namen. Ich habe einen sicheren Aufenthaltsstatus und gehöre keiner irgendwie marginalisierten oder diskriminierten Gruppe an. Okay, ich bin links. Aber das steht mir nicht auf der Stirn geschrieben. Es könnte mir also theoretisch egal sein, ob mir ein rassistisch denkender/handelnder Mensch in Uniform gegenüber steht. Das IST ein Privileg, das sehr viele Menschen in diesem Land nicht haben. Denn für einen rassifizierten Menschen macht es sehr wohl einen Unterschied, ob da ein rassistischer Cop kommt oder nicht.

Kaum jemand behauptet ernsthaft, dass alle Polizist*innen Rassist*innen sind, bzw. rassistische Vorurteile haben und  (ggf. auch unbewusst) rassistisch handeln. Aber wir wissen, dass es diese Polizist*innen gibt. Was wir nicht wissen ist, wie viele es tatsächlich sind und ob wir just in diesem Moment einem oder einer gegenüber stehen.

Dieser Aufruf ist also nicht als individuelle Rassismusunterstellung gegenüber allen Polizist*innen zu verstehen, wohl aber als Misstrauensbekundung der Institution Polizei gegenüber, auch der Tatsache geschuldet, dass jede neue rechte Chatgruppe, jeder neu publik gewordene Fall von Racial Profiling oder Polizeigewalt von vielerlei Seiten noch immer als „Einzelfälle“ oder „bad apples“ bezeichnet werden, statt den Ursachen und begünstigenden Rahmenbedingungen dieser Ereignisse auf den Grund zu gehen.

Es geht dabei primär um das Erkennen des eigenen Privilegs, nicht betroffen zu sein.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.

Zivilcouragiertes Vorgehen im Polizeidienst

Gegen Umtriebe, menschenfeindliche Gesinnung und offenen Rassismus intern vorzugehen, erfordert in der Polizei vor allem Anstand und großen Mut. Die Angst vor Anfeindungen, Ausgrenzungen und Karriereende überwiegen häufig.
Umso besser, mehr und mehr von Kolleg:innen zu lesen, die solch einen Schritt gehen und sich gegen nicht tolerierbare Verletzungen unserer Werte wehren. Ihnen gebührt unser Dank und Anerkennung!

Pressemeldung: Dienstkräfte zeigen an

Direktlink zur Originalmeldung.

Von der Ambivalenz, als Polizist:in Flagge zu zeigen

Zu den gestrigen Aufzügen und Feiern anlässlich des CSD (Christopher Street Day) in Berlin habe ich auf meinen Social-Media-Kanälen „Happy Pride“ gewünscht (Twitter, Instagram).

Ich sehe mich als Straight Ally und freue mich mit der Community. Außerdem beschämt mich der jahrzehntelange, unwürdige Umgang des Staates und der Polizei mit der LSBTIQ*-Community. Es ist für mich daher selbstverständlich, meine Solidarität zum Ausdruck zu bringen.

Happy Pride

Allerdings habe ich ein Déjà-vu erlebt, denn neben einer überragenden Welle positiver Reaktionen erhielt ich wie im Vorjahr auch viele abwehrende und beleidigende Feedbacks aus der Gruppe derer, denen ich alles Gute wünsche.
Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass ich als Polizist Teil des Problems sei, dass ich somit den Repressionsapparat direkt unterstütze und dass es keinen Konsenz geben kann.

„Stonewall was a riot“ und „No cops at Pride“ war häufig zu lesen.

Okay, das nehme ich zur Kenntnis. Und ich berichte darüber auch gar nicht, weil mein Ego dadurch einen Kratzer erhält oder weil mich die Abweisung meiner wohlmeinenden Unterstützung kränkt. Vielmehr ist es der Nachweis für gleich mehrere meiner Thesen:
Zum einen darf jede:r über die Polizei denken und sagen, was er will (natürlich, wenn strafrechtliche Grenzen nicht überschritten werden). Die Polizei hingegen darf das nicht, also „mit gleicher Münze zurückzahlen“. Wir müssen das hinnehmen und zudem versuchen, die Kritik zu verstehen, sie einzuordnen und das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. Und selbst, wenn kein Verständnis aufkommt, muss man die Ablehnung zumindest als objektiven Fakt anerkennen.
Weiterhin zeigt sich, wie wichtig der von mir so betonte Perspektivwechsel ist. Unter allen, die sich über meine Geste empört hatten, war keine:r in der Lage, mich persönlich zu adressieren, um in einen Dialog einzutreten. Und gerade dieses Absolute, dieses Verneinende, führt selten zu etwas Gutem. Es spaltet, fördert Missverständnisse und verschärft den Dissenz. Und wieder: auch wenn ein beidseitiges Aufeinanderzubewegen schön wäre – gefordert ist vor allem der Staat, die Polizei. Denn er/sie wünscht sich das Vertrauen der Menschen, muss sich dieses jedoch verdienen.

Happy Pride

Im Kleinen verkörpert diese Erfahrung also einen Teil des großen Problems: der Weg an den gemeinsamen Tisch, der Respekt für andere Ansichten und der Mut, sich selbst ungeschminkt im Spiegel zu betrachten – all das sind nicht einfache, aber notwendige Schritte hin zu gedeihlichem Zusammenleben. Die Polizei ist gefordert. Meist, aber nicht nur.

Dieser Artikel ist eine persönliche Schilderung von Oliver von Dobrowolski.

Gastbeitrag: Geplantes Versammlungsgesetz in NRW & #dus2606

Anlässlich der Ereignisse rund um #dus2606 ein paar Gedanken zu Versammlungsgesetzen und ihrer Umsetzung

Es gibt einige Versammlungsgesetze, manche Bundesländer haben ein eigenes, andere verwenden das Bundesgesetz. Bei allen Unterschieden gilt eine Faustregel: Je schärfer/restriktiver Gesetz und Umsetzung, desto mehr passiert. Das aktuell in NRW geplante gehört zu den schärfsten überhaupt.

Die Notwendigkeit verschärfter Gesetze und robuster Umsetzung werden i.d.R. mit Ereignissen auf oder am Rande von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen oder auch Aktionen des zivilen Ungehorsams begründet, bei denen manchmal fraglich ist, ob sie überhaupt unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen.

Schutz? Ja Schutz, denn eigentlich, ursprünglich, theoretisch dienen Versammlungsgesetze dazu, die Ausübung eines Grundrechts praktisch zu regeln, dabei nur so weit einzuschränken wie nötig, aber primär sicherzustellen, dass sie allen Menschen angstfrei möglich ist.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Versammlungen aller Art sind ein elementarer und wichtiger Bestandteil der politischen Meinungsbildung, niederschwelliger als z.B. eine Parteizugehörigkeit oder die Mitarbeit in Verbänden, Vereinen oder Initiativen, sie sind für alle Menschen offen. Oder sollten es sein.

Sie dienen dazu, ggf. auch spontan Unmut zu artikulieren, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen oder auch Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen auszudrücken.

Wo immer Menschen unterschiedlicher Hintergründe und mit variierenden Vorstellungen zusammenkommen, besteht natürlich auch Konfliktpotential und das Risiko von Auseinandersetzungen, das lässt sich nicht in Gänze vermeiden. Die hohe Kunst – und der eigentliche Sinn von Versammlungsgesetzen – ist, Versammlungen dennoch zu ermöglichen, was auch der Kern der Brokdorf Entscheidung ist: Friedlichen Teilnehmenden muss auch dann die Wahrnehmung ihres Grundrechts ermöglicht werden, wenn es unfriedliche Teilnehmende gibt.

Die Herangehensweise der gern als „Law-and-Order“ Fraktion bezeichneten Teile von Politik und Sicherheitsbehörden ist eine andere. Die in Sonntagsreden vorgebrachten Bekenntnisse zum schützenswerten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sind im Wesentlichen Lippenbekenntnisse, und sie sind exklusiv. Versammlungen werden in erster Linie als Störung der „Ordnung“ wahrgenommen, Teilnehmende als zumindest potentielle „Störer:innen“, eben nicht als Menschen, die ganz im Sinne des Grundgesetzes von einem Grundrecht Gebrauch machen.

Nun stellt niemand in Abrede, dass es „unfriedliche“ Teilnehmende gibt, wobei auch hier die Unterscheidung zwischen gewaltaffin und gewaltbereit wichtig wäre, die von vorgenannter Fraktion gern unterschlagen wird. Die zugrundeliegende Betrachtungsweise ist dennoch versammlungsfeindlich, da sie von der „Störung“ als Regelfall ausgeht und Teilnehmende bereits perspektivisch kriminalisiert. Das geplante nordrheinwestfälische Versammlungsgesetz ist von und für diese(r) Fraktion geschrieben, in die Gestaltung und Durchführung von Versammlungen wird z.T. bereits weit im Vorfeld eingegriffen, die Gesamtheit der Befugnisse zielt darauf ab, potentielle Teilnehmende von der Teilnahme abzuschrecken, bereits geringe und für den friedlichen Gesamtverlauf völlig unerhebliche Regelverstöße zu kriminalisieren und zum Anlass zu nehmen, ganze Versammlungen zu verbieten oder aufzulösen.

Was wir am 26.06.2021 anlässlich der Proteste gegen eben jenes Gesetz gesehen haben, war nur ein kleiner Vorgeschmack. Neben den zwischenzeitlich schon fast zur traurigen Regel gewordenen Behinderungen bis hin zu Angriffen auf Pressevertreter:innen wurde z.T. sehr rabiat (u.a. mit Pfefferspray) gegen vermeintlich oder tatsächlich Vermummte vorgegangen (wer weiß das in Zeiten einer Pandemie und Maskenpflicht schon genau? Es gibt Bundesländer, in denen Vermummung auch schon vor Corona nur eine OWi war, und dort laufen Versammlungen weit überwiegend friedlich ab.), unter dem geradezu absurden Vorwurf, Transparente zu hoch gehalten zu haben, wurde ein ganzer Block 6 Stunden lang gekesselt, die Eingekesselten nicht adäquat versorgt und die Personalien aller aufgenommen, völlig unabhängig davon, was sie selbst gemacht haben oder eben nicht:

Mitgegangen – Mitgefangen – Mitgehangen.

Ein Risiko, das künftig jede Person tragen wird, die sich in NRW auf eine (auch eigentlich völlig friedliche) Demo „traut“. Es sollte keinen Mut erfordern, sich in einem demokratischen Rechtsstaat an Versammlungen zu beteiligen. Es sollte auch nicht das Risiko bergen, für die (opferlosen) Regelverstöße anderer mit verantwortlich gemacht werden.

Zurück zum Anfang, zur Faustregel. Der Punkt ist, und das wissen alle, die sich jemals mit der Materie auseinandergesetzt haben: es bringt nichts. Versammlungen werden dadurch nicht „friedlicher“ (die meisten sind es sowieso), im Gegenteil. Leute, die sich vermummen wollen, werden es weiter tun. Leute, die innerhalb einer Demo Rauchtöpfe oder sonstige Pyros zünden wollen, werden es weiter tun (solange sie nicht geworfen oder dazu missbraucht werden, etwas anzuzünden, sind sie auch ziemlich harmlos, jedoch fester Bestandteil der „Inszenierung“). Auch weiße Maleranzüge oder Aktionsshirts wird es weiter geben. Die wirklich „friedlichen“ Teilnehmenden, also die weder gewaltaffinen noch gewaltbereiten, werden sich z.T. von der Teilnahme abschrecken lassen, die anderen nicht, womit sich das Verhältnis verschiebt.

Auch wenn dieses Gesetz zumindest teilweise kassiert werden sollte, was zu hoffen bleibt, wird es für eine paar Jahre Bestand haben und in diesem Zeitraum für viele unnötige Auseinandersetzungen, Verletzte und „böses Blut“ sorgen. Proteste werden scheinbar „krimineller“ und tatsächlich unfriedlicher werden. Eine self fulfilling prophecy ganz im Sinne der Law-an-Order Fraktion – aber weder im Sinne derer, die ihr Grundrecht ausüben wollen, noch der Polizist:innen auf der Strasse.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.

Gastbeitrag: Polizeigewalt

Das Thema ist derzeit wieder recht präsent in den (sozialen) Medien, was mich dazu brachte, mich mit meinen eigenen Erfahrungen auseinander zu setzen, das Erlebte aus der Distanz von gut 15-20 Jahren erneut zu bewerten…und es endlich zu dokumentieren.

Ich habe Polizeigewalt am eigenen Leib erfahren, beobachtet und als Sanitäterin die Folgen behandelt. Dennoch fällt es mir schwer, diesen pauschalisierenden Begriff zu verwenden, ohne ihm komplett seine Existenzberechtigung absprechen zu wollen.

Man muss meines Erachtens zwei Ebenen klar trennen: Zum einen ist da die Gewalt, die von einzelnen Polizisten ausgeübt wird, z.T. als Überschreitung dessen, was ihnen an Gewaltanwendung im Rahmen ihrer Amtsausübung gestattet ist, z.T. jedoch auch die geradezu sadistische Brutalität einiger Schläger*innen in Uniform, die nur deshalb nicht als Gewaltstraftäter*innen im Knast sitzen, WEIL sie diese Uniform tragen. Und hier kommen wir zur zweiten, systemischen Ebene, die meines Erachtens das eigentliche Problem darstellt und dem Begriff Polizeigewalt seine Daseinsberechtigung verleiht. Das eigentliche Problem sind nicht einzelne „Prügelbullen“ oder mental für den Beruf eher ungeeignete Berufsanfänger*innen, die sich unter Stress nicht im Griff haben und die Beherrschung verlieren. Das Problem sind Korpsgeist und bewusstes Wegsehen. Und das Fehlen einer tatsächlich neutralen, übergeordneten Ermittlungsinstanz.

Ich möchte hier exemplarisch von einer persönlichen Erfahrung berichten. Das Ganze spielte sich vor etwas über 15a in einer deutschen Großstadt ab. Ich hatte mich, wie viele Male davor und danach, an einer symbolischen Blockade im Namen einer international agierenden Umweltschutzorganisation beteiligt, die nach einiger Zeit geräumt wurde. Zu den unverhandelbaren Grundsätzen dieser NGO gehört bedingungslose Gewaltfreiheit, was den meisten Polizist*innen auch bekannt ist. Auch deshalb laufen derartige Aktionen in aller Regel vergleichsweise friedlich ab, zumindest in Deutschland. Auch werden sie üblicherweise von Medienvertreter*innen begleitet und dokumentiert, was einen ungemein disziplinierenden Effekt hat und zudem im Bedarfsfall Beweismittel liefert.

Nachdem die Aktion (eine Blockade) seit einigen Stunden Bestand hatte, wurde von Seiten der Polizei beschlossen zu räumen. Ich saß ziemlich am Rand zwischen einem Bauzaun und einem dort abgestellten PKW, hielt mich locker im Radkasten und am Zaun fest. Es war kalt, ich trug Halbfingerhandschuhe und hatte aufgrund der Kälte kaum noch Gefühl in den Fingern. Da ich an dieser Stelle alleine saß und insofern „leicht“ zu räumen war, wurde ich mit als erste geräumt. 4 Polizist*innen, die im Vorfeld bereits unsere Personalien kontrolliert und normal mit uns geredet hatten, kamen auf mich zu, forderten mich 3x auf, mich zu entfernen, was ich höflich aber bestimmt abgelehnt habe. Daraufhin bogen mir zwei Polizist*innen die Finger auf, um mich von Bauzaun und Auto zu trennen, wobei beide nicht mehr Kraft als erforderlich aufwandten (soweit alles korrekt) und schleppten mich (ich verhielt mich völlig passiv) zu dritt in Richtung ihrer Fahrzeuge. Soweit eine völlig normale, friedliche Räumung. Nach einigen Metern jedoch hörte ich, wie einige Mitaktivist*innen laut und in besorgtem Tonfall meinen Namen quer über den Aktionsort riefen und wissen wollten, was passiert sei, ich würde bluten. Erst da bemerkten sowohl ich als auch die Cops, dass ich tatsächlich eine relativ stark blutende Verletzung an der Hand hatte. Unter den Polizist*innen brach Hektik aus, besonders bei der Beamtin, die meine Hand aus dem Radkasten gezogen hatte, wobei es zu einer großflächigen Ablederung gekommen war (die ich aufgrund der Kälte zunächst gar nicht gespürt hatte). Die Cops brachten mich zu ihren Fahrzeugen, versuchten sich als Ersthelfer*innen und waren sichtlich erleichtert, als ihnen klar wurde, dass ich das als Unfall wertete und niemandem einen Vorwurf machte. Aber natürlich hatten sie ihrer Einsatzleitung gemeldet, dass jemand im Rahmen der Maßnahme verletzt worden war. Dann tauchte plötzlich ein Vorgesetzter auf: „Wo ist die verletzte Person? Die kommt einmal mit!“ Ich wurde mit meinem Verband an der Hand zu einem Gefangenentransporter gebracht und bekam Handschellen angelegt. Meine Frage, ob das jetzt nicht doch ein wenig übertrieben sei, wurde mit einem knappen „Sorry, Vorschrift“ beantwortet – na gut, ich diskutiere nicht mit Beamt*innen über die Sinnhaftigkeit von Vorschriften.

Die Fahrt ging direkt ins Präsidium. Dort wurde ich (in Handschellen) zunächst einmal komplett durchsucht, mir wurden Gürtel und Schnürsenkel abgenommen (echt blöd, wenn man eine ziemlich weite Cargohose und bis ganz zur Spitze geschnürte Bergstiefel trägt) und ich wurde offen angefeindet, was ich zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollziehen konnte. Danach brachte man mich in eine Sammelzelle, wo ich zum ersten mal die Handschellen wieder los wurde. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich entspannt, auch wenn ich den Aufriss in Relation zu unserer Aktion ziemlich übertrieben, und die Tatsache, dass mir eine professionelle Versorgung der verunreinigten Wunde trotz mehrfacher Nachfrage verweigert wurde, etwas befremdlich fand.

Danach saß ich einige Stunden in der sich zunehmend füllenden Zelle und wunderte mich, was der Mist sollte. Üblich sind bei solchen Aktionen eine Personalienaufnahme, ein Platzverweis, die Konfiszierung der Aktionsmittel und ein paar Wochen später Post von der Staatsanwaltschaft.

Irgendwann tauchten 2 Cops an der Zellentür auf: „Gefangene Soundso? Vortreten!“ Ich trat vor. „Hände vor!“ Ich verkniff mir die Frage nach der Notwendigkeit…

Auf dem Weg durchs Gebäude kamen wir an Toiletten vorbei und ich bat die beiden (männlichen) Cops, zur Toilette gehen zu dürfen. Sie schienen etwas genervt zu sein, billigten es mir jedoch zu. Meine Bitte, mir dafür die Handschellen abzunehmen, wurde vehement abgelehnt. Zudem bestanden sie darauf, dass ich Tür der Toilettenkabine nicht nur nicht verriegelte, sondern offen stehen ließ und blieben unmittelbar davor stehen. Danach ging es zur Vernehmung, in ein ziemlich düsteres, altbacken eingerichtetes Büro, wo man mich mitsamt meiner Handschellen recht unsanft auf einem Stuhl platzierte. Ein älterer Polizist in Zivil betrat den Raum, knallte ein paar Papiere auf den Schreibtisch und fing sofort an, mich anzubrüllen: „HABEN SIE IRGEND ETWAS ZU IHRER VERTEIDIGUNG VORZUBRINGEN?!“ Ich war etwas perplex aber auch zunehmend sauer und fragte ihn mühsam beherrscht, ob er mir nicht vielleicht erstmal sagen könne, was mir eigentlich vorgeworfen würde. „DAS ERDREISTEN SIE SICH NOCH ZU FRAGEN?! SIE…SIE…SIE HABEN WIDERSTAND GELEISTET!!“ „Bitte was soll ich gemacht haben?!“ Da fiel mein Blick auf den Verband und ich verstand den Zusammenhang, den ich bis zu diesem Zeitpunkt für maßlos übertriebene, einseitige Berichterstattung gehalten hatte. Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten in einer polizeilichen Vernehmung nichts zur Sache zu sagen, platzte mir der Kragen und ich zischte ihn in ausgesucht höflicher Wortwahl und sehr scharfem Tonfall an, dass die Verletzung Folge eines Unfalls und dies seinen Kolleg*innen vor Ort auch bewusst sei. Im Übrigen sei es unzumutbar, dass mir die medizinische Versorgung verweigert würde und ich wünsche, meinen Anwalt zu sprechen. Er versuchte, mich einzuschüchtern, sagte ‚aus der Nummer käme ich nicht mehr raus, ich würde von meinem hohen Ross schon noch runter kommen, diesmal hätte man mich am Arsch‘. Ich sagte nichts mehr, außer meinen Angaben zur Person, 5 oder 6 mal, bis er pöbelnd aufgab und mich abführen ließ. Wie in einem schlechten Film.

Nach mehrfacher Nachfrage räumte man mir die Möglichkeit ein, meinen Anwalt anzurufen. Ich hatte die Nummer im Kopf, kam aber nicht durch. Mein Anwalt saß in einer anderen Stadt, man hatte mir jedoch ein Telefon gegeben, von dem aus nur Ortsgespräche geführt werden konnten. Ich bekam das örtliche Telefonbuch auf den Tisch geknallt, ich solle mir halt einen aussuchen…ich verzichtete. Meine bei der Gelegenheit erneut vorgebrachte Bitte um medizinische Versorgung wurde lediglich mit einem Schulterzucken und einem barschen „Selber schuld“ quittiert.

Danach verbrachte ich erneut mehere Stunden in der zwischenzeitlich wieder leeren Zelle. Irgendwann flog die Tür wieder auf: „Gefangene Soundso…“ . Ich kannte das Spielchen ja zwischenzeitlich, stand auf, stellte mich in ausreichendem Abstand vor die beiden Cops und hielt unaufgefordert meine Hände vor, um mir Handschellen anlegen zu lassen. „UMDREHEN!“ Ich schaute den Wortführer etwas ungläubig an und fragte mich, ob er das ernst meinte. Der Schlag gegen meine Schulter reichte, um mich herum wirbeln zu lassen und klärte meine Frage abschließend. Also hatte ich nun offene, kaum an den Füssen bleibende Schuhe, eine auf halb Acht hängende Hose, einen sich zunehmend auflösenden Verband an der Hand und die Hände auf dem Rücken gefesselt. Haltung bewahren, keine Schwäche zeigen…nichts leichter als das…

Die Beiden nahmen mich in ihre Mitte und gingen sehr zügigen Schrittes durchs Gebäude, wobei mich einer der beiden mehrfach anherrschte, ich solle schneller gehen. Ich verkniff mir jeden Kommentar. Wir kamen um eine Ecke und standen vor einer ziemlich steilen (Keller?-)Treppe, ohne Fenster, mit einem Handlauf links. Am Fuße der Treppe waren vielleicht noch 1,5 m Platz bis zu einer Wand. Der Wortführer packte mich recht unsanft am Oberarm, schob mich in Richtung der Treppe und bedeutete mir mit einer Kopfbewegung, ich solle da jetzt runter. Beide Cops blieben hinter mir stehen, keiner ging vor, um mich mit meinen offenen Schuhen und ohne die Möglichkeit, mich festzuhalten, abzusichern.

In diesem Moment bekam ich wirklich Angst. Ich redete mir auf jeder Stufe ein, es würde nichts passieren, ich würde mich verrückt machen, wir waren schließlich in Deutschland, im 21. Jahrhundert, nicht in einem schlechten Film. Trotzdem beeilte ich mich, die Treppe hinunter zu steigen und korrigierte auf jeder Stufe meinen Stand im Schuh, versuchte fieberhaft abzuschätzen, ab welcher Höhe ich unter diesen Bedingungen wohl einigermaßen sicher abspringen könnte.

Der Stoß kam auf der 4. oder 5. Stufe von unten, vom Wortführer. Ich konnte abspringen, irgendwie auf meinen Füßen landen und mich noch halb zur Seite drehen, so dass ich den Aufprall an der Wand im Wesentlichen mit der Schulter anfangen konnte. Abgesehen von ein paar Hämatomen im Gesicht und an der Schulter wurde ich nicht weiter verletzt – weil ich damit gerechnet hatte. Ich drehte mich mühsam beherrscht zu den beiden Cops um, die nach wie vor auf der Treppe standen. Der Wortführer grinste mich hämisch an und sagte extrem laut (dafür, dass wir nur zu dritt auf der Treppe waren): „Hoppla, junge Frau, nicht stolpern…“

Ich denke, dass er mich tatsächlich weniger ernsthaft verletzen, als vielmehr eine echte Widerstandshandlung oder doch zumindest eine Beleidigung provozieren wollte. Es gelang ihm nicht. Ich stand einfach nur da und starrte ihn an. Er machte eine Bewegung in meine Richtung, in diesem Moment hob sein Kollege, der bis dahin nichts gesagt oder getan hatte, nur einmal kurz die Hand…mehr passierte nicht.

Sie brachten mich dann zum unmittelbar angrenzenden Erkennungsdienst – was wohl auch der Grund dafür war, weshalb der Wortführer auf der Treppe so laut gesprochen hatte. Er brauchte Zeug*innen.

Nachdem ich (von einem professionell korrekten) Beamten erkennungsdienstlich behandelt worden war, brachten mich zwei andere Cops zurück in die Zelle. Wieder mit Handschellen, allerdings vor dem Körper, in meiner Bekleidungssituation angemessener Geschwindigkeit, und einer der beiden sicherte mich sogar auf der Treppe.

Nach etwa einer weiteren Stunde wurde ich (natürlich in Handschellen) aus der Zelle geholt, zum Empfang gebracht, bekam meine Privatgegenstände ausgehändigt und wurde kommentarlos entlassen. In der ganzen Zeit war weder meine Verletzung versorgt worden, noch hatte ich Kontakt zu meinem Anwalt.

Einige Wochen später bekam ich Post von der Staatsanwaltschaft, ein Strafbefehl wegen der im Rahmen der Aktion begangenen Straftaten, der später gegen Auflage eingestellt wurde. Der ursprüngliche Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurde darin nicht einmal mehr erwähnt…naja, es gab ein Pressevideo, welches, wie mir erzählt wurde, im Rahmen der Berichterstattung über die Aktion im Fernsehen lief. Im polizeieigenen System stand der Vorwurf allerdings 10 Jahre lang. 10 Jahre, in denen so manche 08/15 Kontrolle damit endete, dass die ursprünglich freundlichen Cops plötzlich sehr schmallippig wurden und die Hand an der Waffe hatten.

 Ich habe mich mit der Wertung dieser Erfahrung lange schwer getan, es lange nur wenigen Vertrauten erzählt, nicht zuletzt weil ich dachte: `Das klingt so unglaublich, das nimmt dir niemand ab.` Wie ein schlechter Film eben. Selbst meinem Anwalt habe ich erst mit etwas Verzögerung davon berichtet. Er riet mir von einer Anzeige ab. Ich habe den „Wortführer“ nicht angezeigt und bin mir bis heute nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung war. Es gab keine Zeug*innen, und der zweite Cop hätte meiner Einschätzung zufolge nicht gegen seinen Kollegen ausgesagt, sonst hätte er viel früher interveniert.

Ich war damals schon weltanschaulich leidlich gefestigt, hatte mich „gut im Griff“ und konnte zwischen der Uniform an sich und dem individuellen Arschloch in der Uniform differenzieren. Trotzdem hat mich dieses Erlebnis geprägt. Es hat keinen Hass in mir ausgelöst, wohl aber ein tief sitzendes Misstrauen.

Es war beileibe nicht das einzige Mal, dass ich mit polizeilicher Gewalt konfrontiert wurde, ich habe mir auf Demos und Aktionen durchaus den ein oder anderen Schlagstockhieb, Tritt oder Faustschlag eingefangen. Allerdings waren das stets Situationen, in denen man zumindest theoretisch einen Exzess oder Kontrollverlust im „Eifer des Gefechts“ unterstellen könnte, weshalb ich persönlich solche Situationen als weniger gravierend einstufe. Das oben beschriebene Ereignis hingegen sticht durch seinen eindeutig kriminellen Charakter hervor.

Meine Haltung der Institution Polizei gegenüber hat sich dadurch gewandelt. Dass es immer und überall „schwarze Schafe“ gibt, war mir natürlich klar, aber ich hatte, auch als Aktivistin und damit naturgemäß häufiger in Situationen, in denen ein Interessenskonflikt bestand, dennoch ein Grundvertrauen darin, dass Polizist*innen ihren Job korrekt machen. Danach hatte ich verstanden, dass darauf zumindest kein Verlass ist. Nicht der Schläger selbst hat mir das Vertrauen in die Polizei buchstäblich „ausgeprügelt“, sondern die anderen, die nicht eingegriffen haben.

(Die Autorin ist bekannt)

Gastbeitrag: Mit offenem Visier

Weshalb ich mich für die Entkriminalisierung (mindestens) bzw. die Relegalisierung (besser) von Vermummung im Versammlungskontext einsetze – theoretisch und praktisch.

Das Vermummungsverbot wurde in Deutschland den 80ern eingeführt, als ich in den 90ern anfing, mich aktivistisch zu betätigen, war es also noch eine relativ „neue Erfindung“. Das Narrativ der bitterbösen, schwarzvermummten Gewalttäter:innen saß jedoch schon ziemlich fest in den Köpfen, auch vieler Versammlungsteilnehmer:innen. Ich wurde als Aktivistin ( genau wie viele Polizist:innen ) mit der Idee sozialisiert, dass „Vermummte“ Gefahr bedeuteten, sich ausschließlich vermummten, um unerkannt ( weitere ) Straftaten begehen zu können, dass es „böse“ vermummte und „gute“ Demonstrant:innen gäbe, die im Gegensatz zu Ersteren „Gesicht zeigten“, zu ihren Überzeugungen stünden. Das habe ich viele Jahre lang selbst so gesehen und praktiziert.

Ich hätte über das „weitere“ stolpern müssen.

In den meisten deutschen Bundesländern ist es eine Straftat, sich bei Versammlungen zu vermummen, in wenigen „nur“ eine (ziemlich kostspielige) Ordnungswidrigkeit, selbst das Mitführen von theoretisch zur Vermummung geeigneten Kleidungsstücken kann fast überall teuer werden, selbst wenn man sie nicht anlegt.

Das erste Mal ins Grübeln kam ich bei einer Demo außerhalb Deutschlands, in einem Land, in dem es seinerzeit kein Vermummungsverbot gab. Weit über die Hälfte der Teilnehmenden machte davon Gebrauch – aber es passierte nicht mehr, als es auf derartigem Demonstrationen üblich ist. Ich unterhielt mich mit einigen Leuten über ihre Motivation, und die war so banal wie logisch. „Es geht niemandem etwas an, an welchen Demonstrationen ich mich beteilige.“

Daran gibt es absolut nichts zu rütteln, wofür oder wogegen ich auf die Straße gehe, hat staatliche Stellen nicht zu interessieren, zumindest solange ich dabei keine >weiteren< Straftaten begehe.

Menschen haben, z.T. sehr „gute“, z.T. für Nichtaktive nicht nachvollziehbare Gründe, sich (nur) anonym an politischen Versammlungen zu beteiligen. Bei manchen stehen berufliche Gründe im Vordergrund, bei anderem die Befürchtung, vom politischen Gegner identifiziert zu werden und dadurch gefährdet zu sein. Das mag auf manche paranoid wirken, aber ist es das wirklich? Dass Menschen, die sich z.B. antifaschistisch, antirassistisch oder in der Geflüchtetenhilfe engagieren auf Listen landen, ausgekundschaftet, bedroht oder angegriffen werden, kommt immer wieder vor. Auch ich möchte nicht von Nazis fotografiert werden.

In den letzten Jahren kam ein weiterer Aspekt verstärkt zum Tragen: illegale Datenabfragen durch Polizist:innen und die Weitergabe an Dritte. Vor dem Hintergrund immer neuer derartiger Meldungen und häufig nicht restlos aufgeklärter Fälle legen viele politisch aktive Menschen Wert darauf, nicht nur nicht vom politischen Gegner ausgekundschaftet zu werden, sondern die Art ihrer politischen Betätigung möglichst auch den Sicherheitsbehörden gegenüber nicht offenzulegen. Das mag traurig sein und einer Demokratie unwürdig, ist jedoch die logische Konsequenz der vorgenannten Ereignisse.

Der Tatsache, dass viele Menschen z.B. durch das Abfilmen einer Demonstration verunsichert sind, ggf. eine Teilnahme nicht wagen, trägt man zwischenzeitlich Rechnung: das grund-/anlasslose Filmen oder Fotografieren von Versammlungsteilnehmer:innen ist nicht zulässig. Selbst Überwachungskameras im öffentlichen Raum müssen häufig deaktiviert, wenn nicht gar demontiert werden. Hier erkennt man den Wunsch nach Anonymität an, wenn auch meist widerwillig. Das Festhalten am Vermummungsverbot steht dazu im Widerspruch.

Nachdem es außer dem illegitimen Motiv, unerkannt Straftaten im Versammlungskontext begehen zu können, offensichtlich auch eine ganze Reihe durchaus legitimer Gründe gibt, was bedeutet es für Versammlungsteilnehmer:innen in der Praxis, sich zu vermummen?

In erster Linie ein Risiko, sowohl persönlich (in Form einer Strafandrohung), als auch für die gesamte Versammlung. Strenggenommen ist die Polizei überall dort, wo Vermummung eine Straftat ist, zum Eingreifen verpflichtet, auch wenn aus taktischen Gründen manchmal (zunächst) davon abgesehen wird. Ein eindrucksvolles, bekanntes Beispiel ist die sog „W2H“ Demo anlässlich des G20 Gipfels 2017 in Hamburg. Sie wurde unter massivem Gewalteinsatz aufgelöst, nachdem eine größere Zahl Teilnehmender nicht auf Vermummung verzichten wollte, eskalierte in der Folge völlig und gipfelte in einer der brutalsten Straßenschlachten der jüngeren Geschichte. Wie die Demonstration verlaufen wäre, wenn man sie trotz Vermummung hätte laufen lassen (können?), bleibt spekulativ. Wo Vermummung nur eine Ordnungswidrigkeit ist, entfällt die Pflicht zu intervenieren, die Polizei kann, muss aber nicht, hat damit de facto mehr Spielraum und die Wahrscheinlichkeit eines insgesamt friedlicheren Verlaufs steigt sogar.

Dass Menschen diese Risiken bewusst in Kauf nehmen, sollte einem zu denken geben.

Nicht allen geht es (ausschließlich) um Persönlichkeitsschutz. Leute, die die Gelegenheit ausnutzen, unerkannt in der Menge untertauchen zu können und aus diesem Schutz heraus gewaltsam agieren, gibt es unbestritten, und ihrer habhaft zu werden, würde zweifellos schwieriger, sollte das Vermummungsverbot fallen. Allerdings hat just die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie bewiesen, dass Menschen durchaus „maskiert“ demonstrieren können, ohne gewalttätig zu sein.

Man wird einen Kompromiss finden müssen zwischen dem berechtigten Interesse derer, die ihre Identität schützen und trotzdem von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen und dem ebenfalls berechtigten Interesse, Gewalttäter:innen dingfest zu machen. Erstere zu kriminalisieren ist offensichtlich keine Lösung. Eine bundesweite Herabstufung zur (bezahlbaren) Ordnungswidrigkeit wäre zumindest ein erster Schritt, den man auch als „Testphase“ nutzen könnte.

Ich selbst bin vor einiger Zeit dazu übergegangen, immer entsprechendes Equipment mitzuführen und es manchmal auch zu tragen, mal zu meinem persönlichen Schutz, mal aus Solidarität. Ich „kämpfe“ also mal mit offenem Visier und mal mit geschlossenem. Ob und wann möchte ich selbst entscheiden dürfen.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.