Bündnisgrüner Polizeikongress Thüringen

Auf Einladung von MdL Madeleine Henfling aus der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Thüringer Landtag findet am 21. Juni 2022 in Erfurt der „Bündnisgrüne Polizeikongress 2022“ statt.

Aus dem Einladungstext:
„Die Polizei in Deutschland und in Thüringen steht vor enormen Herausforderungen. Wie alle Arbeitgeber:innen hat die Polizei bereits jetzt unter anderem aufgrund des demografischen Wandels zunehmende Probleme ausreichend Bewerber:innen für diesen anspruchsvollen Beruf zu begeistern. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie die Polizei zukunftsfest und als attraktiver Arbeitgeber aufstellt werden kann. Zudem haben bspw. die Enthüllungen rund um Nordkreuz und das Auffliegen rechter Polizei-Chatgruppen für einen enormen Vertrauensverlust bei vielen Menschen verursacht und befeuerten die Debatte, wie Polizist:innen ausgebildet werden und wie eventuelle Strukturelle Probleme in der Polizei angegangen werden sollten.“

Neben anderen Vereinigungen und herausragenden Persönlichkeiten als Sprecher:innen und Diskutanten wird auch BetterPolice vor Ort vertreten sein.

Die Einladung hier zum Herunterladen.

BetterPolice im EU-Parlament

Im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres – LIBE (Commitee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs) – des Europäischen Parlaments sprach heute der Gründer und Sprecher von BetterPolice, Oliver von Dobrowolski, zum Thema »Police ethics, the use of force and respect of fundamental rights in law enforcement work, Panel 2: ways to improve awareness, training and supervision«.

LIBE-Ausschuss 12.05.2022

Das Redemanuskript kann hier eingesehen werden.

Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim

Zum tödlich verlaufenden Polizeieinsatz im Mannheim (Hintergrund) erklärt der Gründer und
Sprecher von BetterPolice, Oliver von Dobrowolski:

Der Umgang mit psychisch auffälligen Personen nimmt zunehmend Raum in der Aus- und Fortbildung der Polizei ein, meines Erachtens jedoch noch nicht in zureichendem Maße.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass jährlich weltweit, aber leider auch in Deutschland, viele Tote bei Polizeieinsätzen zu vermeiden wären, wenn geschultes Fachpersonal beigezogen würde, vor allem im Umgang mit Menschen, die psychisch erkrankt sind oder bei denen akute Krankheitsbilder zu einer Eintrübung führen. Bei diesen Menschen ist oft davon auszugehen, dass sie nicht „normal“, also berechenbar auf Ansprache und insbesondere körperliche Kontakte von fremden Menschen reagieren. Dies wird von Polizist:innen meist fehlgedeutet, wodurch es zu einer erhöhten Gewaltanwendung kommt, um die betreffende Person, die sich in der Regel stark wehrt, zu fixieren und zu „sichern“. Die Dynamik solcher Aktionen bedingt dann häufig schlimme Folgen wie einen kollabierten Kreislauf oder den sog. lagebedingten Erstickungstod.
Meine seit langem vorgetragene Forderung lautet daher, Polizeimitarbeitende in Aus- und ständiger Fortbildung besser auf den Umgang mit psychisch auffälligen/kranken Menschen vorzubereiten, sie außerdem besser in eine helfende Lage zu versetzen (erweiterte Erste Hilfe/Ersthelferausbildung) und vor allem, dass staatlich veränderte Infrastrukturen geschaffen werden, um in solchen Einsatzlagen – soweit erkennbar (dürfte in Mannheim so gewesen sein) – nicht in erster Linie Polizist:innen mit Pfefferspray, Schlagstock oder Waffe zu den Menschen zu schicken, sondern eine mobile Notambulanz, die sich fachlich besser um solche Personen kümmern kann. Dazu bedarf es natürlich eines gewissen Dauerdienstes (24/7) und einer entsprechenden Beschickung, also dass Notfallleitstellen bei eingehenden Alarmen nicht (nur) Polizei und Feuerwehr entsenden, sondern eben diese Fachleute.
Ganz konkret zu dem Vorfall in Mannheim kann man nur spekulieren, da die öffentlich vorhandene Videoaufzeichnung freilich nur einen Ausschnitt der Sachlage wiedergibt.
Für die beteiligten Polizist:innen war die Angelegenheit gewiss ebenfalls nicht geplant und gewollt. Soll heißen: möglicherweise gab es ein Fehlverhalten bei der Lageeinschätzung und der Behandlung der Person. Ob dies aber auch fahrlässig und somit vorwerfbar ist, lässt sich per Ferndiagnose kaum einschätzen. Hier kann man nur auf objektive, ergebnisoffene Ermittlungen von Dienstaufsicht und Staatsanwaltschaft hoffen.

Verselbständigt sich die Polizei immer weiter?

Nachfolgend ein Thread auf Twitter vom Nutzer DeLacroix:

Demokratisch gewählte Regierungen beschließen Regeln. Doch Polizeien weigern sich oft, sie durchzusetzen. Das bereitet mir GROßE Sorge. Insbesondere, wenn die Polizei verbotenen Versammlungen den Weg freiknüppelt, erinnert das an die letzten Zwanziger.

Meine Sorge sind dabei nicht regelmäßige Straßenschlachten mit Toten, bevor das falsch verstanden wird. Dafür sind die Querpfosten zu wenige. Es ist der tiefgreifende Vertrauensverlust in das System. Was bisher nur Opfer von Polizeigewalt kannten, ahnen jetzt breite Kreise:

In Gesetzesbüchern mag viel stehen, wenn der Tag lang ist. Doch wenn die Gewalt nicht geltendes Recht durchsetzt, sondern sich nach Bedarf ihr eigenes macht, höhlt das Demokratie und Rechtsstaat aus. Folgen: Menschen vertrauen nicht mehr darauf, dass der Staat sie schützt.

Mögliche Folgen: Sie gehen evtl. nicht mehr wählen, um Änderung zu erreichen. Sie zeigen Straftaten nicht mehr an, sondern „regeln das selbst“. Sie nehmen Polizei und Behörden nicht mehr ernst. Was uns zurück zur Polizei führt. Die sich selbst ins Bein schießt.

Polizeiarbeit, wie wir sie kennen, erfordert Rückhalt in der Bevölkerung. Das kann man leicht vergessen, wenn man – wie in D – in nahezu rechtsfreiem Raum agiert. Wenn unangemessene Polizeigewalt fast nie zu Urteilen führt. Wenn die Polizei sich von der Exekutive zur Legislative macht und selbst entscheidet, welche Gesetze und Verordnungen sie durchsetzt und welche nicht. Wenn sie das Framing von Rechtsextremen übernimmt und bei Horden von pöbelnden Radikalen selbst von „Spaziergängen“ spricht. Das muss sich ändern. Und zwar SCHNELL.

Es ist an den Führungen vor allem der Landespolizeien, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Alles andere mag in der konkreten Verbotene-Demo-Situation bequem sein. Langfristig macht es alles, bis hin zur Verkehrskontrolle, schwerer.

Ich bin überzeugt, die überwältigende Mehrheit aller Polizist*innen sieht sich ebenfalls als „Staatsbürger in Uniform“. Doch wenn „die Polizei“ von der Mehrheit der Gesellschaft als fremde, beliebig einsetzbare Gewalt wahrgenommen wird, hilft das leider nicht mehr.

Wir kennen das aus anderen Staaten. Und wer weiter als bis zum Tellerrand denkt, kann das nicht wollen. Weder Bürgerschaft noch Polizei noch Politik. Wer kann es ändern? Polizeiführungen. Oder Regierungen. Also: Werdet endlich Eurer Verantwortung gerecht!

Direktlink

BetterPolice wird offiziell Vereinigung

Nach der Gründung der Initiative durch Oliver von Dobrowolski im April 2021 wurde nun – aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen – mit Verzögerung auch weitere Weichenstellung vorgenommen: rechtlich wird BetterPolice nun die Form einer Vereinigung erhalten.

Der erste Schritt, eine entsprechende Gründungsversammlung, bei der auch eine Satzung verabschiedet wurde, ist getan.

Am 27. Oktober 2021 wurde in Berlin-Dahlem in diesem Zusammenhang auch der Vorstand gewählt:

Als Sprecher (Vorsitzende) fungieren:

  • Simon Neumeyer
  • Melih Tastekin
  • Oliver von Dobrowolski

Als Beisitzende werden im erweiterten Vorstand wirken:

  • Anne Wundrak
  • Jonas Zinnäcker
  • Carsten Schulz

Nach erfolgter Eintragung ins Vereinsregister werden wir hier auch die Satzung veröffentlichen.

Gruppenbild Gründungsversammlung BetterPolice

Gastbeitrag: Kein Schnack mit Cops – über White Privilege

Vor ein paar Tagen machte ein Aufruf von Ende Gelände die Runde. Es wurde darum gebeten, am Rande von Aktionen/Versammlungen keinen Smalltalk mit Polizist*innen zu halten. Es ging dabei um mehr als die übliche Mahnung zur Vorsicht, denn dieser Aufruf richtet sich primär an nicht rassifizierte Aktivist*innen und plädiert an ihre Rücksichtnahme ggü. Aktivist*innen, die dieses „Privileg“ nicht haben.

Ich kann den Hintergrund des Aufrufs zwar gut nachvollziehen, finde ihn aber dennoch etwas schwierig, nicht nur weil ich zu den Leuten gehöre, die genau das regelmäßig machen (und damit  insgesamt gute Erfahrungen bzgl. der deeskalierenden Wirkung gemacht habe), sondern auch weil ich befürchte, dass ein solcher Aufruf vonseiten der Polizist*innen falsch verstanden wird.

Ich habe ihn also mit zwei (reflektierten, weißen, männlichen) Cops diskutiert. Bzw. es versucht, denn besonders weit kamen wir nicht. Beide taten sich sehr schwer damit, die Motivation hinter diesem Aufruf nachzuvollziehen, sahen das als pauschale Misstrauensbekundung allen Polizist*innen gegenüber und primär die eskalierende Wirkung des sich gegenseitigen, misstrauischen Anschweigens. Auch das kann ich nachvollziehen. Allerdings haben hier drei weiß-deutsch gelesene Menschen diskutiert.

Ich bin mir meiner Privilegien durchaus bewusst. Ich habe zwar persönlich Erfahrungen mit rechtswidriger Polizeigewalt gemacht und bringe insofern ein gewisses „Grundmisstrauen“ mit, aber ich kann dennoch jederzeit in eine Polizeistation gehen, wenn ich ein entsprechendes Anliegen habe, oder die Polizei rufen. Denn ich bin weiß, weiblich und habe einen „deutsch“ klingenden Namen. Ich habe einen sicheren Aufenthaltsstatus und gehöre keiner irgendwie marginalisierten oder diskriminierten Gruppe an. Okay, ich bin links. Aber das steht mir nicht auf der Stirn geschrieben. Es könnte mir also theoretisch egal sein, ob mir ein rassistisch denkender/handelnder Mensch in Uniform gegenüber steht. Das IST ein Privileg, das sehr viele Menschen in diesem Land nicht haben. Denn für einen rassifizierten Menschen macht es sehr wohl einen Unterschied, ob da ein rassistischer Cop kommt oder nicht.

Kaum jemand behauptet ernsthaft, dass alle Polizist*innen Rassist*innen sind, bzw. rassistische Vorurteile haben und  (ggf. auch unbewusst) rassistisch handeln. Aber wir wissen, dass es diese Polizist*innen gibt. Was wir nicht wissen ist, wie viele es tatsächlich sind und ob wir just in diesem Moment einem oder einer gegenüber stehen.

Dieser Aufruf ist also nicht als individuelle Rassismusunterstellung gegenüber allen Polizist*innen zu verstehen, wohl aber als Misstrauensbekundung der Institution Polizei gegenüber, auch der Tatsache geschuldet, dass jede neue rechte Chatgruppe, jeder neu publik gewordene Fall von Racial Profiling oder Polizeigewalt von vielerlei Seiten noch immer als „Einzelfälle“ oder „bad apples“ bezeichnet werden, statt den Ursachen und begünstigenden Rahmenbedingungen dieser Ereignisse auf den Grund zu gehen.

Es geht dabei primär um das Erkennen des eigenen Privilegs, nicht betroffen zu sein.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.

Zivilcouragiertes Vorgehen im Polizeidienst

Gegen Umtriebe, menschenfeindliche Gesinnung und offenen Rassismus intern vorzugehen, erfordert in der Polizei vor allem Anstand und großen Mut. Die Angst vor Anfeindungen, Ausgrenzungen und Karriereende überwiegen häufig.
Umso besser, mehr und mehr von Kolleg:innen zu lesen, die solch einen Schritt gehen und sich gegen nicht tolerierbare Verletzungen unserer Werte wehren. Ihnen gebührt unser Dank und Anerkennung!

Pressemeldung: Dienstkräfte zeigen an

Direktlink zur Originalmeldung.

Von der Ambivalenz, als Polizist:in Flagge zu zeigen

Zu den gestrigen Aufzügen und Feiern anlässlich des CSD (Christopher Street Day) in Berlin habe ich auf meinen Social-Media-Kanälen „Happy Pride“ gewünscht (Twitter, Instagram).

Ich sehe mich als Straight Ally und freue mich mit der Community. Außerdem beschämt mich der jahrzehntelange, unwürdige Umgang des Staates und der Polizei mit der LSBTIQ*-Community. Es ist für mich daher selbstverständlich, meine Solidarität zum Ausdruck zu bringen.

Happy Pride

Allerdings habe ich ein Déjà-vu erlebt, denn neben einer überragenden Welle positiver Reaktionen erhielt ich wie im Vorjahr auch viele abwehrende und beleidigende Feedbacks aus der Gruppe derer, denen ich alles Gute wünsche.
Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass ich als Polizist Teil des Problems sei, dass ich somit den Repressionsapparat direkt unterstütze und dass es keinen Konsenz geben kann.

„Stonewall was a riot“ und „No cops at Pride“ war häufig zu lesen.

Okay, das nehme ich zur Kenntnis. Und ich berichte darüber auch gar nicht, weil mein Ego dadurch einen Kratzer erhält oder weil mich die Abweisung meiner wohlmeinenden Unterstützung kränkt. Vielmehr ist es der Nachweis für gleich mehrere meiner Thesen:
Zum einen darf jede:r über die Polizei denken und sagen, was er will (natürlich, wenn strafrechtliche Grenzen nicht überschritten werden). Die Polizei hingegen darf das nicht, also „mit gleicher Münze zurückzahlen“. Wir müssen das hinnehmen und zudem versuchen, die Kritik zu verstehen, sie einzuordnen und das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. Und selbst, wenn kein Verständnis aufkommt, muss man die Ablehnung zumindest als objektiven Fakt anerkennen.
Weiterhin zeigt sich, wie wichtig der von mir so betonte Perspektivwechsel ist. Unter allen, die sich über meine Geste empört hatten, war keine:r in der Lage, mich persönlich zu adressieren, um in einen Dialog einzutreten. Und gerade dieses Absolute, dieses Verneinende, führt selten zu etwas Gutem. Es spaltet, fördert Missverständnisse und verschärft den Dissenz. Und wieder: auch wenn ein beidseitiges Aufeinanderzubewegen schön wäre – gefordert ist vor allem der Staat, die Polizei. Denn er/sie wünscht sich das Vertrauen der Menschen, muss sich dieses jedoch verdienen.

Happy Pride

Im Kleinen verkörpert diese Erfahrung also einen Teil des großen Problems: der Weg an den gemeinsamen Tisch, der Respekt für andere Ansichten und der Mut, sich selbst ungeschminkt im Spiegel zu betrachten – all das sind nicht einfache, aber notwendige Schritte hin zu gedeihlichem Zusammenleben. Die Polizei ist gefordert. Meist, aber nicht nur.

Dieser Artikel ist eine persönliche Schilderung von Oliver von Dobrowolski.

Gastbeitrag: Geplantes Versammlungsgesetz in NRW & #dus2606

Anlässlich der Ereignisse rund um #dus2606 ein paar Gedanken zu Versammlungsgesetzen und ihrer Umsetzung

Es gibt einige Versammlungsgesetze, manche Bundesländer haben ein eigenes, andere verwenden das Bundesgesetz. Bei allen Unterschieden gilt eine Faustregel: Je schärfer/restriktiver Gesetz und Umsetzung, desto mehr passiert. Das aktuell in NRW geplante gehört zu den schärfsten überhaupt.

Die Notwendigkeit verschärfter Gesetze und robuster Umsetzung werden i.d.R. mit Ereignissen auf oder am Rande von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen oder auch Aktionen des zivilen Ungehorsams begründet, bei denen manchmal fraglich ist, ob sie überhaupt unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen.

Schutz? Ja Schutz, denn eigentlich, ursprünglich, theoretisch dienen Versammlungsgesetze dazu, die Ausübung eines Grundrechts praktisch zu regeln, dabei nur so weit einzuschränken wie nötig, aber primär sicherzustellen, dass sie allen Menschen angstfrei möglich ist.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Versammlungen aller Art sind ein elementarer und wichtiger Bestandteil der politischen Meinungsbildung, niederschwelliger als z.B. eine Parteizugehörigkeit oder die Mitarbeit in Verbänden, Vereinen oder Initiativen, sie sind für alle Menschen offen. Oder sollten es sein.

Sie dienen dazu, ggf. auch spontan Unmut zu artikulieren, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen oder auch Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen auszudrücken.

Wo immer Menschen unterschiedlicher Hintergründe und mit variierenden Vorstellungen zusammenkommen, besteht natürlich auch Konfliktpotential und das Risiko von Auseinandersetzungen, das lässt sich nicht in Gänze vermeiden. Die hohe Kunst – und der eigentliche Sinn von Versammlungsgesetzen – ist, Versammlungen dennoch zu ermöglichen, was auch der Kern der Brokdorf Entscheidung ist: Friedlichen Teilnehmenden muss auch dann die Wahrnehmung ihres Grundrechts ermöglicht werden, wenn es unfriedliche Teilnehmende gibt.

Die Herangehensweise der gern als „Law-and-Order“ Fraktion bezeichneten Teile von Politik und Sicherheitsbehörden ist eine andere. Die in Sonntagsreden vorgebrachten Bekenntnisse zum schützenswerten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sind im Wesentlichen Lippenbekenntnisse, und sie sind exklusiv. Versammlungen werden in erster Linie als Störung der „Ordnung“ wahrgenommen, Teilnehmende als zumindest potentielle „Störer:innen“, eben nicht als Menschen, die ganz im Sinne des Grundgesetzes von einem Grundrecht Gebrauch machen.

Nun stellt niemand in Abrede, dass es „unfriedliche“ Teilnehmende gibt, wobei auch hier die Unterscheidung zwischen gewaltaffin und gewaltbereit wichtig wäre, die von vorgenannter Fraktion gern unterschlagen wird. Die zugrundeliegende Betrachtungsweise ist dennoch versammlungsfeindlich, da sie von der „Störung“ als Regelfall ausgeht und Teilnehmende bereits perspektivisch kriminalisiert. Das geplante nordrheinwestfälische Versammlungsgesetz ist von und für diese(r) Fraktion geschrieben, in die Gestaltung und Durchführung von Versammlungen wird z.T. bereits weit im Vorfeld eingegriffen, die Gesamtheit der Befugnisse zielt darauf ab, potentielle Teilnehmende von der Teilnahme abzuschrecken, bereits geringe und für den friedlichen Gesamtverlauf völlig unerhebliche Regelverstöße zu kriminalisieren und zum Anlass zu nehmen, ganze Versammlungen zu verbieten oder aufzulösen.

Was wir am 26.06.2021 anlässlich der Proteste gegen eben jenes Gesetz gesehen haben, war nur ein kleiner Vorgeschmack. Neben den zwischenzeitlich schon fast zur traurigen Regel gewordenen Behinderungen bis hin zu Angriffen auf Pressevertreter:innen wurde z.T. sehr rabiat (u.a. mit Pfefferspray) gegen vermeintlich oder tatsächlich Vermummte vorgegangen (wer weiß das in Zeiten einer Pandemie und Maskenpflicht schon genau? Es gibt Bundesländer, in denen Vermummung auch schon vor Corona nur eine OWi war, und dort laufen Versammlungen weit überwiegend friedlich ab.), unter dem geradezu absurden Vorwurf, Transparente zu hoch gehalten zu haben, wurde ein ganzer Block 6 Stunden lang gekesselt, die Eingekesselten nicht adäquat versorgt und die Personalien aller aufgenommen, völlig unabhängig davon, was sie selbst gemacht haben oder eben nicht:

Mitgegangen – Mitgefangen – Mitgehangen.

Ein Risiko, das künftig jede Person tragen wird, die sich in NRW auf eine (auch eigentlich völlig friedliche) Demo „traut“. Es sollte keinen Mut erfordern, sich in einem demokratischen Rechtsstaat an Versammlungen zu beteiligen. Es sollte auch nicht das Risiko bergen, für die (opferlosen) Regelverstöße anderer mit verantwortlich gemacht werden.

Zurück zum Anfang, zur Faustregel. Der Punkt ist, und das wissen alle, die sich jemals mit der Materie auseinandergesetzt haben: es bringt nichts. Versammlungen werden dadurch nicht „friedlicher“ (die meisten sind es sowieso), im Gegenteil. Leute, die sich vermummen wollen, werden es weiter tun. Leute, die innerhalb einer Demo Rauchtöpfe oder sonstige Pyros zünden wollen, werden es weiter tun (solange sie nicht geworfen oder dazu missbraucht werden, etwas anzuzünden, sind sie auch ziemlich harmlos, jedoch fester Bestandteil der „Inszenierung“). Auch weiße Maleranzüge oder Aktionsshirts wird es weiter geben. Die wirklich „friedlichen“ Teilnehmenden, also die weder gewaltaffinen noch gewaltbereiten, werden sich z.T. von der Teilnahme abschrecken lassen, die anderen nicht, womit sich das Verhältnis verschiebt.

Auch wenn dieses Gesetz zumindest teilweise kassiert werden sollte, was zu hoffen bleibt, wird es für eine paar Jahre Bestand haben und in diesem Zeitraum für viele unnötige Auseinandersetzungen, Verletzte und „böses Blut“ sorgen. Proteste werden scheinbar „krimineller“ und tatsächlich unfriedlicher werden. Eine self fulfilling prophecy ganz im Sinne der Law-an-Order Fraktion – aber weder im Sinne derer, die ihr Grundrecht ausüben wollen, noch der Polizist:innen auf der Strasse.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.