Podcast zur besseren Polizei

Im Sommer traf sich unser Sprecher Oliver von Dobrowolski mit dem innenpolitischen Sprecher der grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, um einen Podcast seiner Reihe »Berlin von Innen« aufzuzeichnen.

Vasili Franco & Oliver von Dobrowolski im AGH BerlinEntstanden sind zwei Episoden, die Vasili wie folgt beschreibt:

»Heute spreche ich mit dem Berliner Polizisten und Gründer der Initiative BetterPolice Oliver von Dobrowolski über die Probleme der Sicherheitsbehörden. In seinem kürzlich veröffentlichten Buch „Ich kämpfe für eine bessere Polizei“ legt Oli den Finger in die Wunde polizeilichen Fehlverhaltens wie Racial Profiling oder mangelnder Fehlerkultur. Wir sprechen auch über Olis Werdegang, wieso er als Polizist überhaupt politisch aktiv wurde und was hat ihn dazu gebracht ein Buch zu schreiben?

Im zweiten Teil meines Gesprächs mit Oli geht es direkt weiter mit der Frage: Gibt es Racial Profiling in der Polizei und wie wirkt Rassismuskritik innerhalb der Polizei? Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer „besseren Polizei“?
Wie schaffen wir mehr Reflexion in den Polizeibehörden? Was sagt Oli zur Berliner Innenpolitik? Das und noch mehr bespreche ich mit dem Polizisten und Aktivisten Oliver von Dobrowolski.«

Die Folgen gibt es kostenfrei auf Spotify zu hören…

Teil 1: 30:58 Min.

Teil 2: 41:58 Min.

Gastbeitrag: Geplantes Versammlungsgesetz in NRW & #dus2606

Anlässlich der Ereignisse rund um #dus2606 ein paar Gedanken zu Versammlungsgesetzen und ihrer Umsetzung

Es gibt einige Versammlungsgesetze, manche Bundesländer haben ein eigenes, andere verwenden das Bundesgesetz. Bei allen Unterschieden gilt eine Faustregel: Je schärfer/restriktiver Gesetz und Umsetzung, desto mehr passiert. Das aktuell in NRW geplante gehört zu den schärfsten überhaupt.

Die Notwendigkeit verschärfter Gesetze und robuster Umsetzung werden i.d.R. mit Ereignissen auf oder am Rande von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen oder auch Aktionen des zivilen Ungehorsams begründet, bei denen manchmal fraglich ist, ob sie überhaupt unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen.

Schutz? Ja Schutz, denn eigentlich, ursprünglich, theoretisch dienen Versammlungsgesetze dazu, die Ausübung eines Grundrechts praktisch zu regeln, dabei nur so weit einzuschränken wie nötig, aber primär sicherzustellen, dass sie allen Menschen angstfrei möglich ist.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Versammlungen aller Art sind ein elementarer und wichtiger Bestandteil der politischen Meinungsbildung, niederschwelliger als z.B. eine Parteizugehörigkeit oder die Mitarbeit in Verbänden, Vereinen oder Initiativen, sie sind für alle Menschen offen. Oder sollten es sein.

Sie dienen dazu, ggf. auch spontan Unmut zu artikulieren, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen oder auch Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen auszudrücken.

Wo immer Menschen unterschiedlicher Hintergründe und mit variierenden Vorstellungen zusammenkommen, besteht natürlich auch Konfliktpotential und das Risiko von Auseinandersetzungen, das lässt sich nicht in Gänze vermeiden. Die hohe Kunst – und der eigentliche Sinn von Versammlungsgesetzen – ist, Versammlungen dennoch zu ermöglichen, was auch der Kern der Brokdorf Entscheidung ist: Friedlichen Teilnehmenden muss auch dann die Wahrnehmung ihres Grundrechts ermöglicht werden, wenn es unfriedliche Teilnehmende gibt.

Die Herangehensweise der gern als „Law-and-Order“ Fraktion bezeichneten Teile von Politik und Sicherheitsbehörden ist eine andere. Die in Sonntagsreden vorgebrachten Bekenntnisse zum schützenswerten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sind im Wesentlichen Lippenbekenntnisse, und sie sind exklusiv. Versammlungen werden in erster Linie als Störung der „Ordnung“ wahrgenommen, Teilnehmende als zumindest potentielle „Störer:innen“, eben nicht als Menschen, die ganz im Sinne des Grundgesetzes von einem Grundrecht Gebrauch machen.

Nun stellt niemand in Abrede, dass es „unfriedliche“ Teilnehmende gibt, wobei auch hier die Unterscheidung zwischen gewaltaffin und gewaltbereit wichtig wäre, die von vorgenannter Fraktion gern unterschlagen wird. Die zugrundeliegende Betrachtungsweise ist dennoch versammlungsfeindlich, da sie von der „Störung“ als Regelfall ausgeht und Teilnehmende bereits perspektivisch kriminalisiert. Das geplante nordrheinwestfälische Versammlungsgesetz ist von und für diese(r) Fraktion geschrieben, in die Gestaltung und Durchführung von Versammlungen wird z.T. bereits weit im Vorfeld eingegriffen, die Gesamtheit der Befugnisse zielt darauf ab, potentielle Teilnehmende von der Teilnahme abzuschrecken, bereits geringe und für den friedlichen Gesamtverlauf völlig unerhebliche Regelverstöße zu kriminalisieren und zum Anlass zu nehmen, ganze Versammlungen zu verbieten oder aufzulösen.

Was wir am 26.06.2021 anlässlich der Proteste gegen eben jenes Gesetz gesehen haben, war nur ein kleiner Vorgeschmack. Neben den zwischenzeitlich schon fast zur traurigen Regel gewordenen Behinderungen bis hin zu Angriffen auf Pressevertreter:innen wurde z.T. sehr rabiat (u.a. mit Pfefferspray) gegen vermeintlich oder tatsächlich Vermummte vorgegangen (wer weiß das in Zeiten einer Pandemie und Maskenpflicht schon genau? Es gibt Bundesländer, in denen Vermummung auch schon vor Corona nur eine OWi war, und dort laufen Versammlungen weit überwiegend friedlich ab.), unter dem geradezu absurden Vorwurf, Transparente zu hoch gehalten zu haben, wurde ein ganzer Block 6 Stunden lang gekesselt, die Eingekesselten nicht adäquat versorgt und die Personalien aller aufgenommen, völlig unabhängig davon, was sie selbst gemacht haben oder eben nicht:

Mitgegangen – Mitgefangen – Mitgehangen.

Ein Risiko, das künftig jede Person tragen wird, die sich in NRW auf eine (auch eigentlich völlig friedliche) Demo „traut“. Es sollte keinen Mut erfordern, sich in einem demokratischen Rechtsstaat an Versammlungen zu beteiligen. Es sollte auch nicht das Risiko bergen, für die (opferlosen) Regelverstöße anderer mit verantwortlich gemacht werden.

Zurück zum Anfang, zur Faustregel. Der Punkt ist, und das wissen alle, die sich jemals mit der Materie auseinandergesetzt haben: es bringt nichts. Versammlungen werden dadurch nicht „friedlicher“ (die meisten sind es sowieso), im Gegenteil. Leute, die sich vermummen wollen, werden es weiter tun. Leute, die innerhalb einer Demo Rauchtöpfe oder sonstige Pyros zünden wollen, werden es weiter tun (solange sie nicht geworfen oder dazu missbraucht werden, etwas anzuzünden, sind sie auch ziemlich harmlos, jedoch fester Bestandteil der „Inszenierung“). Auch weiße Maleranzüge oder Aktionsshirts wird es weiter geben. Die wirklich „friedlichen“ Teilnehmenden, also die weder gewaltaffinen noch gewaltbereiten, werden sich z.T. von der Teilnahme abschrecken lassen, die anderen nicht, womit sich das Verhältnis verschiebt.

Auch wenn dieses Gesetz zumindest teilweise kassiert werden sollte, was zu hoffen bleibt, wird es für eine paar Jahre Bestand haben und in diesem Zeitraum für viele unnötige Auseinandersetzungen, Verletzte und „böses Blut“ sorgen. Proteste werden scheinbar „krimineller“ und tatsächlich unfriedlicher werden. Eine self fulfilling prophecy ganz im Sinne der Law-an-Order Fraktion – aber weder im Sinne derer, die ihr Grundrecht ausüben wollen, noch der Polizist:innen auf der Strasse.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.

Gastbeitrag: Mit offenem Visier

Weshalb ich mich für die Entkriminalisierung (mindestens) bzw. die Relegalisierung (besser) von Vermummung im Versammlungskontext einsetze – theoretisch und praktisch.

Das Vermummungsverbot wurde in Deutschland den 80ern eingeführt, als ich in den 90ern anfing, mich aktivistisch zu betätigen, war es also noch eine relativ „neue Erfindung“. Das Narrativ der bitterbösen, schwarzvermummten Gewalttäter:innen saß jedoch schon ziemlich fest in den Köpfen, auch vieler Versammlungsteilnehmer:innen. Ich wurde als Aktivistin ( genau wie viele Polizist:innen ) mit der Idee sozialisiert, dass „Vermummte“ Gefahr bedeuteten, sich ausschließlich vermummten, um unerkannt ( weitere ) Straftaten begehen zu können, dass es „böse“ vermummte und „gute“ Demonstrant:innen gäbe, die im Gegensatz zu Ersteren „Gesicht zeigten“, zu ihren Überzeugungen stünden. Das habe ich viele Jahre lang selbst so gesehen und praktiziert.

Ich hätte über das „weitere“ stolpern müssen.

In den meisten deutschen Bundesländern ist es eine Straftat, sich bei Versammlungen zu vermummen, in wenigen „nur“ eine (ziemlich kostspielige) Ordnungswidrigkeit, selbst das Mitführen von theoretisch zur Vermummung geeigneten Kleidungsstücken kann fast überall teuer werden, selbst wenn man sie nicht anlegt.

Das erste Mal ins Grübeln kam ich bei einer Demo außerhalb Deutschlands, in einem Land, in dem es seinerzeit kein Vermummungsverbot gab. Weit über die Hälfte der Teilnehmenden machte davon Gebrauch – aber es passierte nicht mehr, als es auf derartigem Demonstrationen üblich ist. Ich unterhielt mich mit einigen Leuten über ihre Motivation, und die war so banal wie logisch. „Es geht niemandem etwas an, an welchen Demonstrationen ich mich beteilige.“

Daran gibt es absolut nichts zu rütteln, wofür oder wogegen ich auf die Straße gehe, hat staatliche Stellen nicht zu interessieren, zumindest solange ich dabei keine >weiteren< Straftaten begehe.

Menschen haben, z.T. sehr „gute“, z.T. für Nichtaktive nicht nachvollziehbare Gründe, sich (nur) anonym an politischen Versammlungen zu beteiligen. Bei manchen stehen berufliche Gründe im Vordergrund, bei anderem die Befürchtung, vom politischen Gegner identifiziert zu werden und dadurch gefährdet zu sein. Das mag auf manche paranoid wirken, aber ist es das wirklich? Dass Menschen, die sich z.B. antifaschistisch, antirassistisch oder in der Geflüchtetenhilfe engagieren auf Listen landen, ausgekundschaftet, bedroht oder angegriffen werden, kommt immer wieder vor. Auch ich möchte nicht von Nazis fotografiert werden.

In den letzten Jahren kam ein weiterer Aspekt verstärkt zum Tragen: illegale Datenabfragen durch Polizist:innen und die Weitergabe an Dritte. Vor dem Hintergrund immer neuer derartiger Meldungen und häufig nicht restlos aufgeklärter Fälle legen viele politisch aktive Menschen Wert darauf, nicht nur nicht vom politischen Gegner ausgekundschaftet zu werden, sondern die Art ihrer politischen Betätigung möglichst auch den Sicherheitsbehörden gegenüber nicht offenzulegen. Das mag traurig sein und einer Demokratie unwürdig, ist jedoch die logische Konsequenz der vorgenannten Ereignisse.

Der Tatsache, dass viele Menschen z.B. durch das Abfilmen einer Demonstration verunsichert sind, ggf. eine Teilnahme nicht wagen, trägt man zwischenzeitlich Rechnung: das grund-/anlasslose Filmen oder Fotografieren von Versammlungsteilnehmer:innen ist nicht zulässig. Selbst Überwachungskameras im öffentlichen Raum müssen häufig deaktiviert, wenn nicht gar demontiert werden. Hier erkennt man den Wunsch nach Anonymität an, wenn auch meist widerwillig. Das Festhalten am Vermummungsverbot steht dazu im Widerspruch.

Nachdem es außer dem illegitimen Motiv, unerkannt Straftaten im Versammlungskontext begehen zu können, offensichtlich auch eine ganze Reihe durchaus legitimer Gründe gibt, was bedeutet es für Versammlungsteilnehmer:innen in der Praxis, sich zu vermummen?

In erster Linie ein Risiko, sowohl persönlich (in Form einer Strafandrohung), als auch für die gesamte Versammlung. Strenggenommen ist die Polizei überall dort, wo Vermummung eine Straftat ist, zum Eingreifen verpflichtet, auch wenn aus taktischen Gründen manchmal (zunächst) davon abgesehen wird. Ein eindrucksvolles, bekanntes Beispiel ist die sog „W2H“ Demo anlässlich des G20 Gipfels 2017 in Hamburg. Sie wurde unter massivem Gewalteinsatz aufgelöst, nachdem eine größere Zahl Teilnehmender nicht auf Vermummung verzichten wollte, eskalierte in der Folge völlig und gipfelte in einer der brutalsten Straßenschlachten der jüngeren Geschichte. Wie die Demonstration verlaufen wäre, wenn man sie trotz Vermummung hätte laufen lassen (können?), bleibt spekulativ. Wo Vermummung nur eine Ordnungswidrigkeit ist, entfällt die Pflicht zu intervenieren, die Polizei kann, muss aber nicht, hat damit de facto mehr Spielraum und die Wahrscheinlichkeit eines insgesamt friedlicheren Verlaufs steigt sogar.

Dass Menschen diese Risiken bewusst in Kauf nehmen, sollte einem zu denken geben.

Nicht allen geht es (ausschließlich) um Persönlichkeitsschutz. Leute, die die Gelegenheit ausnutzen, unerkannt in der Menge untertauchen zu können und aus diesem Schutz heraus gewaltsam agieren, gibt es unbestritten, und ihrer habhaft zu werden, würde zweifellos schwieriger, sollte das Vermummungsverbot fallen. Allerdings hat just die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie bewiesen, dass Menschen durchaus „maskiert“ demonstrieren können, ohne gewalttätig zu sein.

Man wird einen Kompromiss finden müssen zwischen dem berechtigten Interesse derer, die ihre Identität schützen und trotzdem von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen und dem ebenfalls berechtigten Interesse, Gewalttäter:innen dingfest zu machen. Erstere zu kriminalisieren ist offensichtlich keine Lösung. Eine bundesweite Herabstufung zur (bezahlbaren) Ordnungswidrigkeit wäre zumindest ein erster Schritt, den man auch als „Testphase“ nutzen könnte.

Ich selbst bin vor einiger Zeit dazu übergegangen, immer entsprechendes Equipment mitzuführen und es manchmal auch zu tragen, mal zu meinem persönlichen Schutz, mal aus Solidarität. Ich „kämpfe“ also mal mit offenem Visier und mal mit geschlossenem. Ob und wann möchte ich selbst entscheiden dürfen.

Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.