Anlässlich der Ereignisse rund um #dus2606 ein paar Gedanken zu Versammlungsgesetzen und ihrer Umsetzung
Es gibt einige Versammlungsgesetze, manche Bundesländer haben ein eigenes, andere verwenden das Bundesgesetz. Bei allen Unterschieden gilt eine Faustregel: Je schärfer/restriktiver Gesetz und Umsetzung, desto mehr passiert. Das aktuell in NRW geplante gehört zu den schärfsten überhaupt.
Die Notwendigkeit verschärfter Gesetze und robuster Umsetzung werden i.d.R. mit Ereignissen auf oder am Rande von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen oder auch Aktionen des zivilen Ungehorsams begründet, bei denen manchmal fraglich ist, ob sie überhaupt unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen.
Schutz? Ja Schutz, denn eigentlich, ursprünglich, theoretisch dienen Versammlungsgesetze dazu, die Ausübung eines Grundrechts praktisch zu regeln, dabei nur so weit einzuschränken wie nötig, aber primär sicherzustellen, dass sie allen Menschen angstfrei möglich ist.
Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Versammlungen aller Art sind ein elementarer und wichtiger Bestandteil der politischen Meinungsbildung, niederschwelliger als z.B. eine Parteizugehörigkeit oder die Mitarbeit in Verbänden, Vereinen oder Initiativen, sie sind für alle Menschen offen. Oder sollten es sein.
Sie dienen dazu, ggf. auch spontan Unmut zu artikulieren, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen oder auch Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen auszudrücken.
Wo immer Menschen unterschiedlicher Hintergründe und mit variierenden Vorstellungen zusammenkommen, besteht natürlich auch Konfliktpotential und das Risiko von Auseinandersetzungen, das lässt sich nicht in Gänze vermeiden. Die hohe Kunst – und der eigentliche Sinn von Versammlungsgesetzen – ist, Versammlungen dennoch zu ermöglichen, was auch der Kern der Brokdorf Entscheidung ist: Friedlichen Teilnehmenden muss auch dann die Wahrnehmung ihres Grundrechts ermöglicht werden, wenn es unfriedliche Teilnehmende gibt.
Die Herangehensweise der gern als „Law-and-Order“ Fraktion bezeichneten Teile von Politik und Sicherheitsbehörden ist eine andere. Die in Sonntagsreden vorgebrachten Bekenntnisse zum schützenswerten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sind im Wesentlichen Lippenbekenntnisse, und sie sind exklusiv. Versammlungen werden in erster Linie als Störung der „Ordnung“ wahrgenommen, Teilnehmende als zumindest potentielle „Störer:innen“, eben nicht als Menschen, die ganz im Sinne des Grundgesetzes von einem Grundrecht Gebrauch machen.
Nun stellt niemand in Abrede, dass es „unfriedliche“ Teilnehmende gibt, wobei auch hier die Unterscheidung zwischen gewaltaffin und gewaltbereit wichtig wäre, die von vorgenannter Fraktion gern unterschlagen wird. Die zugrundeliegende Betrachtungsweise ist dennoch versammlungsfeindlich, da sie von der „Störung“ als Regelfall ausgeht und Teilnehmende bereits perspektivisch kriminalisiert. Das geplante nordrheinwestfälische Versammlungsgesetz ist von und für diese(r) Fraktion geschrieben, in die Gestaltung und Durchführung von Versammlungen wird z.T. bereits weit im Vorfeld eingegriffen, die Gesamtheit der Befugnisse zielt darauf ab, potentielle Teilnehmende von der Teilnahme abzuschrecken, bereits geringe und für den friedlichen Gesamtverlauf völlig unerhebliche Regelverstöße zu kriminalisieren und zum Anlass zu nehmen, ganze Versammlungen zu verbieten oder aufzulösen.
Was wir am 26.06.2021 anlässlich der Proteste gegen eben jenes Gesetz gesehen haben, war nur ein kleiner Vorgeschmack. Neben den zwischenzeitlich schon fast zur traurigen Regel gewordenen Behinderungen bis hin zu Angriffen auf Pressevertreter:innen wurde z.T. sehr rabiat (u.a. mit Pfefferspray) gegen vermeintlich oder tatsächlich Vermummte vorgegangen (wer weiß das in Zeiten einer Pandemie und Maskenpflicht schon genau? Es gibt Bundesländer, in denen Vermummung auch schon vor Corona nur eine OWi war, und dort laufen Versammlungen weit überwiegend friedlich ab.), unter dem geradezu absurden Vorwurf, Transparente zu hoch gehalten zu haben, wurde ein ganzer Block 6 Stunden lang gekesselt, die Eingekesselten nicht adäquat versorgt und die Personalien aller aufgenommen, völlig unabhängig davon, was sie selbst gemacht haben oder eben nicht:
Mitgegangen – Mitgefangen – Mitgehangen.
Ein Risiko, das künftig jede Person tragen wird, die sich in NRW auf eine (auch eigentlich völlig friedliche) Demo „traut“. Es sollte keinen Mut erfordern, sich in einem demokratischen Rechtsstaat an Versammlungen zu beteiligen. Es sollte auch nicht das Risiko bergen, für die (opferlosen) Regelverstöße anderer mit verantwortlich gemacht werden.
Zurück zum Anfang, zur Faustregel. Der Punkt ist, und das wissen alle, die sich jemals mit der Materie auseinandergesetzt haben: es bringt nichts. Versammlungen werden dadurch nicht „friedlicher“ (die meisten sind es sowieso), im Gegenteil. Leute, die sich vermummen wollen, werden es weiter tun. Leute, die innerhalb einer Demo Rauchtöpfe oder sonstige Pyros zünden wollen, werden es weiter tun (solange sie nicht geworfen oder dazu missbraucht werden, etwas anzuzünden, sind sie auch ziemlich harmlos, jedoch fester Bestandteil der „Inszenierung“). Auch weiße Maleranzüge oder Aktionsshirts wird es weiter geben. Die wirklich „friedlichen“ Teilnehmenden, also die weder gewaltaffinen noch gewaltbereiten, werden sich z.T. von der Teilnahme abschrecken lassen, die anderen nicht, womit sich das Verhältnis verschiebt.
Auch wenn dieses Gesetz zumindest teilweise kassiert werden sollte, was zu hoffen bleibt, wird es für eine paar Jahre Bestand haben und in diesem Zeitraum für viele unnötige Auseinandersetzungen, Verletzte und „böses Blut“ sorgen. Proteste werden scheinbar „krimineller“ und tatsächlich unfriedlicher werden. Eine self fulfilling prophecy ganz im Sinne der Law-an-Order Fraktion – aber weder im Sinne derer, die ihr Grundrecht ausüben wollen, noch der Polizist:innen auf der Strasse.
Der Autorin kann auf Twitter unter @blaulichtzecke gefolgt werden.