Gastbeitrag: Polizei und Rettungsdienst – Zwei Fraktionen einer „Blaulichtfamilie“?

Trotz großer Unterschiede hinsichtlich der Aufgaben, Rechte und Strukturen werden Einsatzkräfte unterschiedlicher Dienste gerne in einem Atemzug genannt, in den Medien, der Politik, manchmal sind sie es auch in der eigenen Wahrnehmung. Das ist auch nicht völlig falsch: BOS – Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben – kurz: die Blaulichter.

Es gibt durchaus eine Reihe Gemeinsamkeiten, Schnittmengen, Parallelen – aber auch gravierende Unterschiede, im positiven wie im negativen Sinne.

Die Motive der Berufswahl dürften vielfach ähnlich gelagert sein: Ein abwechslungsreicher Beruf nah am Menschen, der Anspruch zu „helfen“, „Gutes zu tun“, bei manchen bestimmt auch ein bisschen Abenteuerlust, so ehrlich sollte man sein.

Auch das berufliche Erleben unterscheidet sich von vielen anderen Berufsfeldern, man kommt unweigerlich in die privatesten Bereiche der Menschen, in Situationen, die für einen selbst „Routine“, für diese Menschen jedoch z.T. emotional hochaufgeladene Not- oder Ausnahmesituationen sind – und muss den daran geknüpften Erwartungshaltungen gerecht werden, was natürlich nicht immer möglich ist.

Hinzu kommt, dass man der Schweigepflicht unterliegt, das z.T. extreme Erlebte mit niemandem außerhalb besprechen kann oder darf.

Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Aufgabenbereiche, der Perspektive und der Interaktion mit den Menschen.

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs zur Struktur des Rettungsdienstes. „Den“ Rettungsdienst gibt es genauso wenig wie „die“ Polizei, im Gegenteil, er ist sogar noch viel kleinteiliger organisiert. Zunächst: die „Hierarchien“ sind flacher, es gibt eigentlich nur 3 nichtärztliche Qualifikationen im Regelrettungsdienst: Notfallsanitäter*innen, (noch) Rettungsassistent*innen und Rettungssanitäter*innen, sowie Auszubildendende. Jedes Bundesland hat sein eigenes Landesrettungsdienstgesetz, Träger des Rettungsdienstes ist der Landkreis oder die Stadt, die Durchführung kann delegiert werden. Wenn man die 112 wählt, können einem also sowohl verbeamtete Berufsfeuerwehrleute, Angestellte im Öffentlichen Dienst, Angestellte von Hilfsorganisationen sowie z.T. sehr prekär Beschäftigte privater Unternehmen gegenüber stehen, die je nach Landkreis/Stadt trotz weitgehend einheitlicher Ausbildung anderen Vorgaben unterliegen. Es ist…kompliziert und trotz dahingehender Bemühungen weit von einheitlichen Standards entfernt.

In der Interaktion sowohl mit Patient*innen, Angehörigen oder auch der Polizei am Einsatzort macht das kaum einen Unterschied, wohl aber bezüglich der Zufriedenheit und Motivation der Einsatzkräfte.

Von außen betrachtet wirkt das Handeln unterschiedlicher Einsatzkräfte bei gemeinsamen Einsätzen meist kollegial,  was auch weitgehend zutrifft, man deckt unterschiedliche Teilbereiche derselben Gesamtaufgabe ab, kommuniziert dabei auf Augenhöhe und unterstützt sich gegenseitig. Diese „Nähe“, schon dadurch ersichtlich, dass man sich üblicherweise duzt, auch ohne sich persönlich zu kennen, erleichtert einen koordinierten, reibungslosen Einsatzablauf, birgt aber auch Stolperfallen. Denn während wir Rettungskräfte z.B. bei einem Unfallgeschehen darauf angewiesen sind, dass die Leute uns wirklich die ganze Wahrheit erzählen ( wie schnell sie gefahren sind, ob sie angeschnallt waren, was die intus haben, ob sie übermüdet sind, etc. ), um die Schwere der Verletzungen einigermaßen einschätzen zu können, haben sie das Recht, sich diesbezüglich ggü der Polizei nicht zu äußern.

Bei Einsätzen, zu denen man nicht unabhängig voneinander beordert wird, sondern sich gegenseitig nachfordert, kann die grundsätzlich gute Zusammenarbeit ebenfalls zum Problem werden, denn sowohl durch die Art der Nachforderung als auch durch die initiale Übergabe schafft man eine Art Voreingenommenheit. Man „spielt im selben Team“, was meiner Erfahrung zufolge insbesondere bei zwei rettungsdienstlichen Einsatzszenarien zum Problem werden kann: Menschen in ( wodurch auch immer ausgelösten ) psychischen Ausnahmesituationen und Versorgungen nach polizeilicher Gewaltanwendung.

Selten werden die Unterschiede in Perspektive und Herangehensweise offensichtlicher als bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, das fängt bereits bei der Bezeichnung an, Patient*in vs Störer*in. Dieser Unterschied ergibt sich logisch aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung, determiniert aber häufig das weitere Vorgehen. Während Rettungsdienstmitarbeiter*innen den Schwerpunkt auf die Gefährdung des/der Patient*in legen, sehen Polizist*innen primär die von ihnen ausgehende Gefahr für andere. Beides hat seine Berechtigung, ist bedingt durch Ausbildung, Aufgabenstellung und Erfahrung…aber bietet nicht immer eine Ideallösung, gerade im Umgang mit Menschen, die ( vermeintlich ) irrational handeln. Hier die nötige Balance zu finden, gestaltet sich manchmal schwierig, in manchen Fällen löst das bloße Auftreten mancher Polizist*innen bereits genau die Eskalation aus, die man eigentlich verhindern wollte.

Ein weiterer Punkt, an dem die Gleichsetzung unterschiedlicher Einsatzkräfte in die Irre führt, ist in den Medien gewissermaßen dauerpräsent und hoch aufgeladen: Übergriffe.

Sowohl Polizist*innen als auch Rettungskräfte kommen in Konfliktsituationen und werden zum Ziel verbaler wie physischer Übergriffe, allerdings stellt der gern verwendete Begriff „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ eine aus meiner Sicht verzerrende und unzulässige Verallgemeinerung dar.

Während ( auch ) physische Auseinandersetzungen in gewisser Hinsicht zum Berufsbild und „Handwerkszeug“ von Polizeibeamt*innen gehören, haben Übergriffe auf Rettungsdienstpersonal häufig andere Ursachen, sind überwiegend im jeweiligen Krankheitsbild bzw. Zustand begründet, z.B. den oben bereits erwähnten psychischen Erkrankungen oder Ausnahmesituationen, Rauschzuständen aller Art, Entzugssyndromen oder simplen Stoffwechselentgleisungen. Das macht sie zwar nicht „ungefährlicher“, sie bedürfen allerdings einer differenzierten Betrachtungsweise und eignen sich nicht zur populistischen Meinungsmache.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass Einsatzkraft nicht gleich Einsatzkraft ist. Das in der Regel gute, kollegiale Verhältnis untereinander erleichtert und ermöglicht Vieles, hat aber auch Tücken. Sich darüber sowie über die unterschiedlichen Perspektiven im Klaren zu sein und sie wechselseitig zu respektieren, ist gerade auch für Einsatzkräfte selbst wichtig.

Manchmal ein bisschen mehr Verständnis für die Spannungsfelder, die es trotz aller Kollegialität gibt und geben muss – das würde ich mir von allen Beteiligten wünschen.

(Autor:in ist uns bekannt)

Veröffentlicht in Gastbeitrag, Perspektivwechsel.

Ein Kommentar

  1. Großes Lob für deine Zeilen – wie Recht du doch hast…

    Ein Problem hast du unterschlagen: Polizisten im Rettungsdienst (RTH und RTW).
    Wenn wir uns der Tücken im Einsatz bewusst sind, wird die Welt wieder ein klein bisschen besser.
    Ich danke dir und hoffe, wir bleiben auch im Einsatz beim „Du“!
    Bleibe gesund und passe gut auf dich und die Anderen auf.

    LG
    Matthias

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert